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Predigten

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Am Anfang ist Zukunft, liebe Gemeinde. Am Anfang des Advent, am Anfang eines neuen Kirchenjahres, am Anfang einer neuen Gemeindeleitung. 

Jedes Jahr aufs Neue blättern wir auf den Anfang zurück. Der Lektor heute merkt das ganz besonders: Vom Ende des Kirchenjahres auf den Anfang. Ein dicker Stapel Papier wird – sozusagen - neu aufgeblättert. Geht mir auch so am Anfang von etwas Neuem.  Bei einem Umzug zum Beispiel: alles in die Kisten packen und dann, wenn ich in der neuen Wohnung angekommen bin, alles möglichst fein säuberlich sortiert in die Schränke und Regale stellen, ein letztes Mal für die nächsten Jahre mit kritischem Blick entscheiden, was vielleicht doch wegkann. 

Am Anfang von etwas Neuem zurückblättern. Heute auch an den Anfang von 6 Jahren Gemeindeleitung in der Schlosskirchengemeinde – viele Sitzungen und Gespräche. 75 Jahre Gemeinde an der Schlosskirche haben wir gefeiert, Kirchenmusiker sind gegangen, neue gekommen, das Predigerseminar hat eine neue Leitung und es gibt eine Pfarrerin der EKD an der Schlosskirche. Vieles mehr ließe sich erzählen, von unserem offenen Nachmittag z.B., der an die Stadtkirche gewandert ist, von unserem tollen Besuchsdienstkreis und vom Kindergottesdienst. Von vielen jungen Menschen, die im vergangenen Jahr hier konfirmiert wurden.

Zurückblättern und neu beginnen heißt allerdings nicht nur, in den schönen Erinnerungen zu schwelgen. Denn gerade im Advent mit seinen Liedern und Geschichten und dem Vertrauten hat das auch seinen Platz. Das Buch heute neu aufschlagen heißt eben auch, mit guten Vorsätzen in eine neue Zeit zu gehen. Mit etwas aufhören – wie das so ist bei Neujahrsvorsätzen - und mit etwas anderem endlich anfangen. 

Damit sind wir heute in guter Gesellschaft: Der Verfasser des Predigttextes, der alte Paulus, er wusste damals schon, dass wir Menschen gute Vorsätze brauchen, denn das Gute, das wir tun wollen, das tun wir nicht, sondern das Böse, das wir nicht tun wollen, das tun wir. So hat er es mal formuliert in seinem etwas umständlichen Griechisch des 1. Jahrhunderts – aber kurz und zeitgemäß gesagt heißt das nichts anderes als: Ich weiß schon, was eigentlich gut für mich und für dich wäre, aber ich tu es einfach oft nicht, warum auch immer! Auf unsere Gemeinde übertragen und auf die vorfindliche Kirche gilt das wohl auch. Immer wieder. Und zum Glück kann man einmal den ganzen Packen wieder auf Anfang setzen und neu anfangen. Und immer beginnt die Kirche solch eine Zeit mit dem Bekenntnis der Schuld und erinnert daran, dass, wie es in der ersten der 95 Thesen heißt, unser ganzes Leben Buße sei.

Wir erinnern uns in diesem Jahr an die Stuttgarter Schulderklärung vor 80 Jahren, in der Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland im Blick auf das Versagen auch von Teilen der Kirche vor einer ökumenischen Gruppe formulierten: Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt u n d nicht brennender geliebt haben. N u n soll in unseren Kirchen ein neuer Anfang gemacht werden. 

Ob schon damals der Text des Paulus am Anfang der neuen Zeit stand, am ersten Advent wenige Wochen nach der Bekanntmachung der Stuttgarter Erklärung? Ein guter Text für gute Vorsätze zu neuen Jahr der Kirche, damals und heute, hören wir: (Paulus Römer 13)

8 Seid niemand etwas schuldig, außer, dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. 9 Denn was da gesagt ist: "Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren", und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst." 10 Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung. 11 Und das tut, weil ihr die Zeit erkennt, nämlich dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. 12 Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts. 

Werke der Finsternis klingt ja irgendwie gruselig, nach der dunklen Seite der Macht und Paulus hat auch relativ drastische Beispiel: nicht töten, nicht stehlen, nicht ehebrechen, nicht begehren (und nach dem Abschnitt, den wir hörten, präzisiert er noch: nicht Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Streit und Neid leben). Das sind die richtig finsteren menschlichen Taten, die er da aufzählt. Vor Augen hat er das ausschweifende Leben im Umfeld der römischen Gemeinde, den Kaiserkult mit großen Fressgelagen, der körperlichen Ausbeutung von Frauen und jungen Männern, von Streit und roher Gewalt. 

Dem setzt er ein Leben in Erwartung entgegen: Die Nacht ist vergangen, der Tag ist nahe herbeigekommen. Sich ausstrecken nach dem Licht, nach der neuen Welt Ausschau halten. Ihr seid schon ein Teil davon, sagt er, lebt auch so als Menschen, die Sehnsucht in sich haben. Man kann es heute noch sehen, denn so wurden sie lange Zeit begraben. Archäologen finden die Verstorbenen lang ausgestreckt mit dem Kopf nach Westen gebettet, damit der Blick gen Osten gehen kann. Ex oriente lux, aus dem Osten kommt das Licht, wie in fast jeder Kirche, die mit dem Altar nach Osten ausgerichtet ist. Das Heil ist nahe, daran werden wir erinnert und bilden es nach mit unserer Erwartung auf Weihnachten. Bald ist Zeit für die Fülle der adventlichen Kerzen und für den Glanz von Weihnachten. Gott kommt zu uns als ein Kind und wird wieder kommen. Wachet auf, steht auf vom Schlaf. Woran denken Sie dabei? Was ist Ihre Sehnsucht? Was wünschen Sie sich für diesen Advent? Wo soll das Licht angehen, wo die Liebe sich ereignen – welche Bruchstellen brauchen Stärkung? Vielleicht haben Sie das Symbol der diesjährigen Friedensdekade vor Augen: Eine kraftvolle Friedenstaube fliegt aus einem roten Megafon – ein Symbol für den dringenden Weckruf zum Frieden. Das wäre etwas, heruntergebrochen von den großen Worten des Paulus. Oder: „Bleibt euch etwas schuldig: einander zu lieben“ handgeschrieben auf der Betriebsweihnachtsfeier verteilt. Oder: „Aufstehen und Licht anlegen!“ Auf Postkarten gedruckt, mit einer Einladung zum Adventsliedersingen in der Diakonie oder im Einkaufscenter. Dem Heil entgegen warten und Waffen des Lichts anlegen. Das klingt auf den ersten Blick etwas übertrieben. Aber bei genauem Hinsehen ist es doch ein treffendes Bild. Der Finsternis, den eigenen Krisen, den kaputten Momenten und verlorenen Puzzle-Teilchen etwas entgegensetzen. 

Aktiv warten heißt das Motto des Paulus am ersten Tag des neuen Jahres. Der Sehnsucht einen Schubs geben, nicht müde werden, sondern dem Wunder wie einem Vogel die Hand hinhalten.

Amen